"Ich mag keine Weitwinkelfotos"

Bild einer Küche, das nur wenig Raumgefühl vermittelt
Aufnahme mit Normalobjektiv

Dieser Satz fiel in der Diskussion nach einem Vortrag, den ich vor Wochen im Kreis einiger Makler gehalten habe. Der Herr, der ihn äußerte, vertrat die Meinung, dass mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommene Bilder Objekte nicht korrekt abbilden würden. Durch den Verzicht darauf erfolge eine Art Auslese bei den Interessenten, sodass weniger Besichtigungstermine durchgeführt werden müssten.

 

"Keine Weitwinkelfotos" hieße im Rückschluss, Normal- oder gar Teleobjektive in der Immobilienfotografie zu nutzen. Als Beispiel kommt auf diesem ersten Bild ein sogenanntes Normalobjektiv zum Zuge (50 mm Kleinbildäquivalent). Der Raum hat eine Länge von ca. 2,80 m und eine Breite von ca. 2,25 m.  Das Dilemma wird sofort deutlich: Man erfährt sehr wenig über diesen Raum, viele Fragen bleiben offen (Gibt es ein Fenster? Aus welchem Material ist die Spüle? Wie sieht die Spülarmatur aus? Welcher Bodenbelag? uvm.) Man könnte zwar mehrere unterschiedliche Bilder anfertigen, um mehr von diesem Raum zu zeigen, ein Raumgefühl ließe sich jedoch trotzdem nur schwer erahnen. Will man auf Weitwinkelfotografien verzichten, wird man wohl auch darauf verzichten müssen, Fotos dieser Küche (und vieler anderer Räume) im Exposé abzulichten. Eine Spezialisierung auf größere Gewerbeobjekte und Luxusimmobilien wäre wohl der einzige Ausweg.

 

Bild der selben Küche, das einen großen Teil des Raumes zeigt.
Aufnahme mit 16 mm (Kleinbildäquivalent)

Mit einem starken Weitwinkelobjektiv (16 mm Kleinbildäquivalent) bekommt man einen Eindruck, wie der Raum wirklich aussieht. Sowohl Boden als auch Decke sind zu sehen, es wird deutlich, wo sich das Fenster befindet, Spüle samt Armatur können erkannt werden.

 

Die Verwendung eines solchen Objektivs, ermöglicht auch Abbildungen von Räumen in kleineren Wohnungen und z.B. Reihenhäusern. Der große Aufnahmewinkel hat allerdings seinen Preis. An den Bildrändern können Objekt unnatürlich "verzeichnet" aussehen. Beim vorliegenden Foto sind die Lampe und auch die oberen Schrankkanten davon betroffen. Es handelt sich nicht (nur) um Kissen- oder Tonnenverzeichnungen, die man in der Nachbearbeitung korrigieren könnte.

 

Darüber hinaus muss man einen Kompromiss finden, auf der einen Seite genug vom Raum zu zeigen, andererseits aber nicht den Eindruck eines wesentlich größeren Raum als in der Realität zu vermitteln.

Aufnahme der Küche, das den Raum möglichst realitätsnah abbildet
Ausschnitt aus dem zweiten Bild, das u.a. Verzeichnungen ausblendet

Der Einsatz des Weitwinkelobjektivs lässt die Möglichkeit offen, in der Nachbearbeitung einen Ausschnitt des Bildes zu wählen, sodass die angesprochenen Verzeichnungen wegfallen.

 

Man kann natürlich auch gleich ein weniger extremes Weitwinkelobjektiv wählen, es gibt jedoch Punkte, die für die genannte Vorgehensweise sprechen:

 

Vor Ort kann die Kamera so ausgerichtet werden, dass die Linien nicht "stürzen", die Senkrechten also auch senkrecht abgebildet werden. Im vorliegenden Beispiel wurden auch waagerechte Linien horizontal ausgerichtet. Im Büro am Computer lässt sich dann in aller Ruhe der gewünschte Ausschnitt wählen, ohne dass stürzende Linien entstehen. Mit einem Objektiv mit geringerem Bildwinkel ließen sich diese Ausschnitte nicht oder nur mit entsprechender  Nachbearbeitung oder einer teuren Tilt/Shift-Optik ohne stürzende Linien erreichen. 

 

Qualitätseinbußen durch diese Vorgehensweise sind bei den in Immobilienbörsen üblichen Formaten bzw. in gedruckten Exposés üblichen Bildgrößen äußerst unwahrscheinlich.

 

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrer Entscheidung: "Wie weitwinklig darf es denn sein?"

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